Zwei Gutachten trotz Schadenminderungspflicht
Versicherungen leisten bei berechtigten Schadensersatzansprüchen einen finanziellen Ausgleich – dafür sind sie da. Sie prüfen im Zuge der leistungsentscheidung die Zusammenhänge, die zum Schaden geführt haben. Die Assekuranzen dürfen dabei erwarten, dass der Versicherte einen eingetretenen Schaden möglichst gering hält bzw. versucht, eine Ausweitung zu verhindern oder zu begrenzen.
Dieser versicherungsvertraglich geregelten Schadenminderungspflicht wird beispielsweise dadurch Rechnung getragen, dass ein Versicherter nach dem Bruch eines Leitungswasserrohrs das Hauptventil schließt, um weiteren Wasseraustritt zu verhindern. Bedeutet Schadenminderungspflicht aber auch, dass der Geschädigte bei Zweifeln an der Korrektheit eines Erstgutachtens auf die Beauftragung eines zweiten zur nochmaligen Ermittlung der Schadenshöhe zu verzichten hat?
Nein: Tatsächlich ist es rechtens, dass ein Geschädigter selbst ein zweites Gutachten in Auftrag gibt. Insbesondere, wenn er begründete Bedenken hinsichtlich der Qualität des Erstgutachtens des Versicherers hat. Das Amtsgericht München hatte in einem Fall zu urteilen (Az.: 335 C 7525/17), bei dem der Kläger in einen unverschuldeten Autounfall verwickelt war. Er stimmte der Begutachtung des Schadens durch einen Gutachter des Versicherers zu, hatte später jedoch am Ergebnis erhebliche Zweifel. Aus seiner Sicht wurde ein Teil der Schäden gar nicht berücksichtigt, und auch die kurze Begutachtungszeit vonkaum 15 Minuten war nicht geeignet, Vertrauen zu bilden. Er beauftragte daraufhin einen eigenen Gutachter, der den Schaden um fast 900 Euro höher bewertete und auch einen größeren Wertverlust des Fahrzeugs feststellte. Der Versicherer des Unfallverursachers wies die Übernahme der Gutachterkosten für das Zweitgutachten unter Hinweis auf die Schadenminderungspflicht des Geschädigten zurück.
Das Gericht urteilte anders und erkannte das grundsätzliche Recht eines Geschädigten an, zu Lasten des Schädigers eine eigene Begutachtung des Schadens zu beauftragen. Ein abgegebenes Einverständnis mit dem Gutachter der Versicherung sei nicht gleichbedeutend mit dem Verzicht auf einen eigenen Sachverständigen.
Quelle: Arbeitsgericht München, Urteil vom 24.07.2017, Az.: 335 C 7525/1.